Kauft die Zeit aus!

Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was sie mit ihrem Leben und der ihnen geschenkten Zeit anfangen sollen.
Als Pater Pio einst von einem befreundeten Professor um einen Hinweis gebeten wurde, an dem er sein ganzes Leben ausrichten könnte, erhielt dieser einfach und schlicht den Hinweis auf die in fast jedem alten Katechismus als erstes aufgeführte Antwort zum Sinn unseres Daseins: „Denk immer daran, dass du geboren wurdest‚ um Gott kennen zu lernen, Ihn zu lieben, Ihm zu dienen und dich auf ewig an Ihm im Paradies zu erfreuen’ (Iasenzaniro, P.M., Der „Padre“, San Giovanni Rotondo, 2. Aufl. 2010, 2. Teil, S. 288)!
Wie einfach klingt diese Weisheit, wie tiefgreifend verändert sie aber das ganze Leben, Handeln und Sinnen, wenn ein Mensch sie annimmt und sich von einem Ungläubigen und Unwissenden zu einem in Jesus Christus vom Licht Gottes Erleuchteten und Begnadeten wandelt! Arm, ja unendlich erbärmlich wäre unser Leben ohne diese Botschaft, die uns zur Liebe und zur wahren Freude in der Gemeinschaft mit Gott ruft, die sich aber erst durch die Erlösung von der Sünde durch Jesus Christus wahrhaft verwirklichen kann und so im tiefsten Sinn des Wortes zur Frohbotschaft wird!
In diesem Hinweis über die bloß sinnenhafte Wirklichkeit hinaus erhält alles Sein erst seinen eigentlichen Glanz und Sinn. Grausam wären wir, würden wir diese Wahrheit Gottes vor den anderen Menschen verstecken! Wertlos würde alles werden, würden wir den Anruf des wahren Gottes zur ewigen Gemeinschaft in Seiner Liebe mit der Verehrung von bloßen Götzen auf eine Stufe stellen lassen! Widerwärtig, wenn wir die wahre Liebe ersticken und aus dem Leben verbannen würden, was heute leider aber oft geschieht und so auch immer mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem wird, da immer mehr der Wider-Wert, die Sünde, ja ein neu aufkommender und sich immer mehr verbreitender Satanismus, die Seelen und das „Kulturleben“ der Menschen prägen und buchstäblich vergiften.
Was kann die ganze Welt bieten, wenn die wahre Liebe und damit das wahre Leben verloren gegangen ist? Wo kann es noch wirkliche Schönheit und Freude geben, wenn der Mensch nur noch in selbstgefangener Gier nach etwas strebt, was sich erst in der Liebe des Schöpfers erschließt und nur in dieser Liebe erfüllend und belebend sein kann, ohne welche alles wüst und tot ist und bleibt?
Wo diese Wahrheit im Herzen eines Menschen verloren gegangen ist, gibt es auch kein Licht mehr, das die Schöpfung wirklich erhellen könnte! Woran kann der Böse noch Gefallen finden? Das Leben der Heiligen, die sich vom Lichte Christi erleuchten ließen, hingegen bleibt licht- und wertvoll, selbst wenn es in den Augen einer verblendeten Welt vordergründig (und somit nicht aus der Wahrheit) betrachtet als „übertriebene Torheit“ erscheinen könnte und auch oft so dargestellt wird!
Das Leben in der Nachfolge Christi ist deshalb eine beständige Umkehr, ein beständiges Bemühen um das rechte Denken, das die Sünde und der Hang dazu, der seit der Ur- und Erbsünde die Menschheit belastet, in mancherlei Weise erschwert und behindert!
„Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse!“ (Eph. 5,16; vgl. Kol. 4,5). Zeit wird bei einer solchen Sichtweise Gnade. Sie ist nicht etwas, das man ohne Frucht einfach verstreichen lassen könnte, sondern die Möglichkeit der Verwirklichung des Guten!
Einerseits harren wir noch auf die Vollendung, und hier erscheint uns die Zeit oft lang und beschwerlich! Andererseits ist die Zeit, die uns zum Gutes-Tun hier auf Erden verliehen wird, kurz bemessen, und ehe wir uns versehen, haben wir oft nicht mehr die Möglichkeit, das Gute zu vollbringen, das wir hätten tun können oder sollen! Deshalb ist jeder Augenblick wertvoll, und in jedem Augenblick ruft uns der liebe Gott hier auf Erden noch zur Umkehr, die wir nie aufschieben sollen.
Was würde so mancher, dessen Namen wir nur noch auf einem Grab- oder Gedenkstein lesen, geben, wenn er noch einmal diese Gnade erlangen könnte, welche die Zeit uns eröffnet, nämlich in Freiheit der Liebe des für uns das Kreuz tragenden Jesus nachzufolgen! Einem Heiligen erscheint diese Zeit wohl immer zu kurz, selbst wenn die Dauer so mancher Beschwernisse hier auf Erden oft nur schwer erträglich erscheint!
Doch auch wenn der Mensch gefehlt hat, gibt der liebe Gott hier auf Erden immer noch die Zeit der Umkehr, solange wir uns in unserem Herzen nicht völlig von Ihm abwenden und uns in der Bosheit verhärten. Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe (Ez. 33,11). Diese Botschaft gilt schon im Alten Testament, erst recht wird sie von Jesus Christus verkündet, der ja zu unserem Heil und zu unserer Rettung Mensch geworden ist, ja freiwillig den grausamen Tod am Kreuz und unser aller Schuld auf sich genommen hat, um uns aus unserer Verkettung in Schuld und Tod wieder zu erlösen. Er kam nicht unserer Gerechtigkeit wegen, sondern weil wir Sünder sind und wieder zu Gerechten und Kindern Gottes werden sollen: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren war“ (Lk. 19,10), Er ist „nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder“ (Mt. 9,13). Wir alle müssen eingestehen, dass wir Sünder sind, und uns der Gnade und Liebe Gottes jeden Tag neu öffnen. Erst dann gelangen wir auf den Weg der Umkehr, der Wahrheit und des Lebens. Nur so wird unser Leben lebenswert und wertvoll.
Die Zeit, die uns gegeben wird, wird von so manchem missverstanden, der meint, es gehe hier auf Erden darum, das Leben zu genießen. Dies ist heute eine weit verbreitete Ansicht, die aber nur zu Kummer und Groll führt, weil kein Glück auf dieser erbsündlich belasteten Welt ewig währt und weil auch in einer solch Ich-bezogenen Haltung das Glück nicht besteht.
Als Christen muss unser Blick weiter und tiefer gehen, wenn wir uns wirklich von der Liebe Christi berühren und erfüllen lassen. Gott gibt uns, damit auch wir geben. Zeit, Leben, Liebe, Freude, alles gehört nicht uns, es ist uns geschenkt, damit wir es weitergeben und mit-teilen. Nur dann wird alles echt und wahr. Auch das Leid, wenn wir es mitteilen oder mit anderen tragen, wird geteiltes Leid, wie ein Sprichwort richtig sagt.
Das heißt nicht, dass wir mit unseren guten Werken prahlen oder uns auch nur vor uns selbst darin gefallen sollen, was wir gegenüber anderen besser gemacht haben, wie es der Pharisäer im Gleichnis des Evangeliums (vgl. Lk. 18,9ff.) getan hat, um so seinen Vorzug bei Gott und vor sich selber „auszurechnen“. Was wir Gutes tun, können wir nur mit der Gnade Gottes und nicht aus eigener Kraft. Wer Gutes nur tut, um vor sich oder anderen zu „glänzen“, tut es nicht mehr aus Liebe, sondern aus Stolz. „Wenn du also Almosen gibst, so posaune es nicht aus, wie die Heuchler in den Synagogen und auf den Straßen es tun, um von den Menschen geehrt zu werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn“ (Mt. 6,2). Auch nicht die Menge gibt unseren Taten Wert, sondern die Liebe.
„Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde!“ (Röm. 5,5). Erst in der Gnade Jesu Christi, der uns den Heiligen Geist verleiht, können wir dem Ideal der Liebe in Wahrheit entsprechen, weil ohne den Heiligen Geist die Sünde in der Welt regiert und die wahre Liebe, wie sie in Gott sein soll, verhindert.
Die Liebe Gottes drängt uns, nicht vor der Not zu fliehen, um so das „Glück“ zu finden, wie es manche modernen oder auch alte „Heilslehren“ uns weismachen wollen. Sie hilft, uns mit der Gnade Gottes dem Bedrängten zuzuwenden und die Not zu lindern. So lebt auch ein Christ nicht außerhalb der Welt, in die Gott uns gestellt hat. Trotzdem weiß er, dass er nicht für diese Welt lebt und leben darf, die vergänglich und unvollkommen ist. „Wenn ihr mit Christus auferweckt seid, so sucht, was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt, … nicht nach dem was irdisch ist“ (Kol 3,1).
Wir dürfen die Güter der Schöpfung benützen und zu ihrem jeweiligen Zweck gebrauchen, aber wir sollen unser Herz nicht an diese vergängliche Welt heften, denn sie ist nicht der eigentliche Sinn und Zweck unseres Daseins. Die Welt liegt im Argen durch die Sünde. Töricht, wer sich an sie verkaufen wollte. „Wir wissen ja, durch die ganze Schöpfung zieht sich ein Seufzen; sie liegt in Wehen bis zur Stunde“ (Röm. 8,22). Doch „die Leiden dieser Zeit sind nicht zu vergleichen mit der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn das Harren der Schöpfung ist ein Harren auf die Offenbarung der Kinder Gottes“ (Röm. 8, 18f.).
Als Jünger Jesu Christi sind wir berufen, Licht der Welt zu sein (Mt. 5,14). Durch uns soll Christi Liebe in der Welt sichtbar werden. Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt, denn unser Leben kommt aus Gott! Das gilt für das natürliche Leben, erst recht aber für das übernatürliche.
„Das sage ich euch Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher sollen die, die eine Frau haben, so leben, als hätten sie keine; die da weinen, als weinten sie nicht; die sich freuen, als freuten sie sich nicht; die etwas erwerben, als hätten sie nichts zu eigen; die mit der Welt zu tun haben, als hätten sie nichts mit ihr zu tun. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht. Ich möchte, dass ihr ohne Sorge seid“ (1Kor. 7,29ff.).
Für den, der Gott liebt, verliert die vergängliche Schöpfung nicht ihre Schönheit, im Gegenteil, sie gewinnt erst ihre wahre Bedeutung und weist zugleich über sich selbst hinaus. Auch das Zeitliche gewinnt, wenn es in den Zusammenhang der Ewigkeit und unserer eigentlichen Bestimmung vor Gott gestellt wird. Die kleine heilige Theresia von Lisieux (1873 – 1897, Fest. 3. Oktober) schreibt über ihre Romreise, die sie vor ihrem Eintritt in den Karmel mit ihrem Vater und ihrer Schwester Celine im November 1887 unternahm an ihre Schwester und Oberin: „Bevor wir die ‚Ewige Stadt’, das Ziel unserer Pilgerfahrt, erreichten, durften wir noch viele Wunderwerke bestaunen. Da war zunächst die Schweiz mit ihren Bergen, deren Gipfel sich in den Wolken verlieren, ihren anmutigen Wasserfällen, die auf tausenderlei Weisen herabstürzen, ihren tiefen Tälern voll riesiger Farnkräuter und rosigem Heidekraut. Ach, geliebte Mutter, wie wohl taten meiner Seele diese Schönheiten der Natur, in solch verschwenderischer Weise ausgebreitet! Wie wurde dadurch mein Herz zu dem erhoben, dem es gefiel, solche Meisterwerke über einen Ort der Verbannung auszuschütten, der doch nur einen Tag dauern soll … Ich hatte nicht Augen genug, um alles zu betrachten. Aufrecht am Wagenfenster verlor ich fast den Atem; am liebsten wäre ich auf beiden Seiten des Wagens zugleich gewesen, denn sobald ich mich umdrehte, sah ich zauberhafte und wieder ganz andere Landschaften als die, die sich vor mir hinbreiteten… Der Anblick all dieser Schönheiten regte meine Seele zu tiefen Gedanken an. Mir war, als begriffe ich schon jetzt, wie groß Gott ist und wie wundervoll der Himmel … und ich sagte mir: später, in der Stunde der Prüfung, wenn ich … im Karmel nur mehr ein kleines Stückchen des besternten Himmels werde sehen können, dann will ich mich dessen erinnern, was ich heute sehe… im Anblick der Größe und Macht Gottes werde ich meine unbedeutenden kleinen Angelegenheiten leicht vergessen, denn ihn allein will ich lieben. Es soll mir nicht das Unglück widerfahren, mich an Strohhalme zu klammern, nachdem ‚mein Herz vorausahnend gespürt hat, was Gott denen bereit hält, die ihn lieben’ (1Kor. 2,9)“ (Therese vom Kinde Jesus, Selbstbiographische Schriften, 8. Aufl., Einsiedeln 1978, S. 125f.).
Nur in der Gnade und in der Nachfolge Christi können wir die uns gegebene Zeit wirklich auskaufen und wertvoll werden lassen! Bitten wir Ihn um Seine Hilfe! Gott schreibt sogar auf krummen Zeilen gerade und kann selbst aus Bösem wieder Gutes, ja bei entsprechender Gesinnung des Menschen sogar unvorstellbar Heiliges erstehen lassen! Darum ist die Ausrichtung auf unser letztes Ziel, aber auch die Bereitschaft, jeden Augenblick wieder neu zu beginnen, so entscheidend!
Möge Er uns helfen, den Wert der uns geschenkten Zeit und des uns geschenkten Lebens immer besser zu verstehen, uns Seiner Gnade und Liebe zu öffnen und so auch vielen anderen das Licht Gottes zu offenbaren, das uns in Jesus Christus erschienen ist! So mögen unsere Herzen und die in Sünde und Tod liegende Welt durch den wahren Glauben, die christliche Hoffnung und die göttliche Liebe hell und für Zeit und Ewigkeit mit unvergänglichem Leben, mit wahrer Liebe und mit heiliger Freude erfüllt werden!

Thomas Ehrenberger

 

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